Kulturstiftung des Bundes Staatliche Museen zu Berlin – Preußisher Kulturbesitz

Museen brauchen Räume mit hoher Aufenthaltsqualität, in denen Gruppen ungestört arbeiten können, Räume, die zur aktiven Beteiligung einladen und Vermittlungsarbeit sichtbar machen. lab.Bode hat mit diesem Anspruch drei Museumsräume zu Vermittlungsräumen umgestaltet, die öffentlich zugänglich sind.

Ist es wichtig, dass Vermittlungsräume sichtbar und in direkter Nähe zu den Ausstellungsräumen liegen? Was verändert sich dadurch in der Vermittlungspraxis und welche Herausforderungen bringen solche multifunktionalen Räume im Museum mit sich? Diese Fragen beleuchten wir mit den hier gebündelten Materialien.

Henrike Plegge, Kunsthochschule Mainz, forscht zu sichtbaren Räumen für Kunstvermittlung und reflektiert in ihrem Text, wie sich diese Sichtbarkeit auf die Vermittlungspraxis auswirkt. Fiona Kingsman, Tate Modern, spricht darüber, warum sichtbare Lernräume die Partizipation verschiedener Nutzer*innen im Museum stärken. Unter der Frage, wie Räume für Vermittlung gestaltet werden können, kommen Frauke Gerstenberg und Jan Liesegang, beide Teil des Kollektivs raumlabor Berlin, mit ihrem Beitrag aus der lab.Bode-Vortragsreihe SET zu Wort. In zwei Videointerviews sprechen Kunstvermittler*innen und Mitarbeiter*innen von lab.Bode über ihre Erfahrungen in den lab.Bode-Vermittlungsräumen.

Wir machen hier außerdem die Gestaltungskonzepte der lab.Bode-Räume öffentlich und zeigen, wie das modulare Möbelsystem von raumlabor Berlin in den Räumen genutzt wurde.

Warum braucht es (sichtbare) Räume für Vermittlung im Museum?
Welche Möglichkeiten bieten sichtbare Räume für Kunstvermittlung? Wie wirkt sich diese Sichtbarkeit auf die pädagogische Arbeit im Museum aus? Henrike Plegge arbeitet als Pädagogin, Wissenschaftlerin und Dozentin an der Schnittstelle von Kunst und Bildung. Sie beschreibt in ihrem Text das Phänomen der zunehmenden Sichtbarmachung von Kunstvermittlung durch neue Lernräume in Museen und Kunstinstitutionen. Dabei untersucht sie kritisch, wie sich die räumliche Herstellung von Sichtbarkeit auf die Vermittlungspraxis auswirkt.
Tate Exchange ist ein öffentlicher Raum innerhalb der Tate Modern in London. Hier werden die unterschiedlichen Perspektiven und künstlerischen Ansätze des Publikums, verschiedener Künstler*innen und des Museums miteinander in Austausch gebracht. Was müssen Museen ändern, um Einfluss auf das Leben von Besucher*innen und die Gesellschaft zu nehmen? Wie kann sich das Museum neuen Nutzer*innen öffnen? Und inwieweit können neue Räume diese Prozesse unterstützen? Fiona Kingsman, Leiterin des Learning Departments der Tate Modern, spricht über den Entstehungsprozess von Tate Exchange und die Wichtigkeit von Partizipationsmöglichkeiten für die Ansprache eines diversen Publikums.
Wie können Räume für Vermittlung im Museum gestaltet werden?
Zu Beginn von lab.Bode wurden drei Museumsräume für die Vermittlungsarbeit umgestaltet. Ausgehend von der Anforderung einer flexiblen Nutzung dieser Räume, gestaltete raumlabor Berlin ein modulares Möbelsystem. Die hier zusammengestellten Materialien geben Einblick in das Raum- und das Gestaltungskonzept und reflektieren die Erfahrungen, die Vermittler*innen und lab.Bode-Mitarbeiter*innen mit diesen Räumen gemacht haben. Ein weiterer Entwurf für ein mobiles Möbelsystem gibt außerdem Anregung für die temporäre Gestaltung von Vermittlungsräumen.

Wie kann es gelingen, Perspektiven, Prozesse und Ergebnisse aus der Vermittlung für alle Museumsnutzer*innen wahrnehmbar zu machen? Im Video-Interview mit Beate Slansky geht es um den Spagat zwischen Arbeitsraum und Ausstellungssituation, den ein öffentlich zugänglicher Vermittlungsraum erfordert. Es werden Ideen für Vermittlungspräsentation und -kommunikation vorgestellt, die wir im Rahmen von lab.Bode entwickelt und ausgetestet haben.

Die multiple Nutzung der sichtbaren Vermittlungsräume für Workshops, Vorträge, Präsentationen und vieles mehr funktioniert nur, wenn kreativ mit dem Raum und dem darin befindlichen Mobiliar umgegangen werden kann. Hier zeigen wir, wie sich die lab.Bode-Vermittlungsräume während der Programmlaufzeit in viele verschiedene Settings und Szenarien verwandelten und wie die flexiblen Möglichkeiten der für lab.Bode entwickelten Raumelemente den Lernprozess und das Arbeiten mit unterschiedlichen Medien und Methoden unterstützen können.

Sichtbare Räume für Kunstvermittlung

Welche Möglichkeiten bieten sichtbare Räume für Kunstvermittlung? Wie wirkt sich diese Sichtbarkeit auf die pädagogische Arbeit im Museum aus?

Henrike Plegge arbeitet als Pädagogin, Wissenschaftlerin und Dozentin an der Schnittstelle von Kunst und Bildung. Sie beschreibt in ihrem Text das Phänomen der zunehmenden Sichtbarmachung von Kunstvermittlung durch neue Lernräume in Museen und Kunstinstitutionen. Dabei untersucht sie kritisch, wie sich die räumliche Herstellung von Sichtbarkeit auf die Vermittlungspraxis auswirkt.

Henrike Plegge

Kurztext: Sichtbare Räume der Kunstvermittlung

Kunstvermittlung findet in vielfältigen Räumen statt. Sie ereignet sich in Ausstellungen, in Schulen, im städtischen oder virtuellen Raum. Kunstvermittler*innen und Teilnehmende der Vermittlungsangebote entscheiden, in welchen Räumen sie auf welche Weise agieren, welche Wege sie gehen, wo sie verweilen oder wo sie stören möchten. Dabei sind sie an die vom Raum und der Institution ausgehenden Regeln und Routinen gebunden, die die Verhaltensweisen und das Handeln im Raum prägen.

In der architektonischen Gestaltung von Museen wurden Räume für die Durchführung künstlerisch-praktischer Vermittlungsformate im Museum in der Vergangenheit überwiegend in den nicht öffentlich zugänglichen Bereichen des Gebäudes – separat vom Ausstellungsgeschehen in Kellern, oberen Etagen oder gesonderten Häusern ­– eingerichtet. Diese räumliche Verortung der Kunstvermittlung wandelt sich seit 15 Jahren innerhalb ausstellender Institutionen in Deutschland sukzessiv. Zwar werden in den separaten Vermittlungsräumen weiterhin pädagogische Angebote realisiert, jedoch haben Museen Teile ihrer Ausstellungsfläche frei- und somit umgeräumt, um zusätzlich Räume für die Kunstvermittlung im öffentlichen und frei zugänglichen Bereich der Museen zu schaffen. Die Folge ist, dass der Vermittlungsraum sowie die in ihm stattfindende interpersonelle Vermittlungspraxis vom Museumspublikum während ihres Ausstellungsrundgangs explizit angeschaut und beobachtet werden können. Kunstvermittlung wird über ihre Räume im Museum sichtbar gemacht.

Mit dieser Herstellung von Sichtbarkeit der Vermittlungsräume im Museum hat sich die Funktion von architektonischen Räumen der Kunstvermittlung verschoben. Sie dienen nicht mehr allein der Verortung pädagogischer Praxis, dem Rückzug und der Möglichkeit mit verschiedenen Materialien und pädagogischen Vorgehensweisen arbeiten zu können. Vielmehr werden Räume eingerichtet, um Kunstvermittlung dem Ausstellungspublikum zu sehen zu geben, um sie zu (re-)präsentieren.

Henrike Plegge

Ambivalenzen sichtbarer Räume der Vermittlung

Auswirkungen einer sich veränderten Raumpraxis im Museum

Räume der Kunstvermittlung werden seit ca. 15 Jahren in Deutschland vermehrt im sichtbaren und frei zugänglichen Bereich der Kunstmuseen eingerichtet. Dazu räumen Museen ihre Ausstellungsflächen frei und schaffen Platz für die pädagogische Arbeit. Hinter dieser sich ändernden Raumpraxis steht das Anliegen, die pädagogische Arbeit im Museum sichtbarer zu machen und sie räumlich als integralen Bestandteil der Ausstellungen in Erscheinung treten zu lassen.
Die Verräumlichung in eigenen Räumen erzeugt dabei Evidenz über die Existenz der pädagogischen Arbeit im Museum, denn mit den sichtbaren Vermittlungsräumen wird offenkundig an alle Museumsbesucher*innen kommuniziert: „Hier findet Kunstvermittlung statt!“. Gleichzeitig ist eine Erkennbarkeit und Unterscheidung der pädagogischen Arbeit zu den anderen Tätigkeitsfeldern, die die Ausstellung betreffen, gegeben.1

Die Platzierung im frei zugänglichen Bereich der Institution bedeutet nicht, dass einfach etwas sichtbar gemacht2 wird, was es vorher an einem für das Museumspublikm lediglich nicht sichtbaren und zugänglichen Ort gab.  Mit der Einrichtung von Vermittlungsräumen im frei zugänglichen Bereich werden neue Vermittlungsprogramme entwickelt und Vermittlungsräume werden auf eine Art gestaltet, die sich an die ästhetischen Anforderungen der Kunstausstellungen anlehnen – Kunstvermittlung und die Wahrnehmung über das Feld verändern sich.
Diese Veränderungen, die mit der Einrichtung sichtbarer Vermittlungsräume einher gehen, können in ambivalenten Effekten beschrieben werden, die sich sowohl in konkreten pädagogischen Handlungen als auch auf symbolischer und struktureller Ebene der Institution Museum zeigen.

Mit dem vorliegenden Beitrag möchte ich drei ambivalente Effekte3 darstellen, die durch die veränderte Raumpraxis hervorgerufen werden. Sie veranschaulichen die Auswirkungen sichtbarer Vermittlungsräume für das Feld der Kunstvermittlung und die pädagogische Arbeit der Kunstvermittler*innen. Schließen möchte ich den Text mit der Frage, inwieweit es sich bei der Einrichtung sichtbarer Vermittlungsräume um eine widerständige Praxis im Sinne kritischer Kunstvermittlung handelt und Vorschläge machen für eine abweichende Raumpraxis.

Interagieren mit der Kunst und die Vermittlung von Kunstvermittlung

Aufgrund der zentralen Verortung des sichtbaren Vermittlungsraumes innerhalb der Institution Museum besteht eine örtliche Nähe zu den Ausstellungen und der dort gezeigten Kunst. Zur Folge hat dies, dass innerhalb der Vermittlungssituation spontan Kunst, sowohl mit der gesamten Gruppe als auch von den Teilnehmenden individuell, angeschaut werden kann. Die Auseinandersetzung mit Kunst ist dadurch zeitlich nicht mehr nur auf einen definierten Teil des Vermittlungsangebotes – wie beispielsweise zu Beginn eines Workshopangebotes – beschränkt, sondern kann nach Bedarf flexibel in die pädagogische Arbeit integriert werden. Kunst spontan und nach Bedarf anzuschauen wird durch den sichtbaren Vermittlungsraum erleichtert und nimmt einen erhöhten quantitativen Anteil in der Kunstvermittlungspraxis ein.

„Das finde ich echt eine Stärke der Räume, die Nähe zu den Objekten, mit denen wir uns in den Projekten beschäftigt haben. […] Das ist halt next door. Man kann rausgehen und sich nochmal ein Detail anschauen, zurück in den Workshopraum gehen und das Gesehene sofort hier in eigene Choreografien, in Skulpturen verwerten.“ (Bahar Meric, Choreografin und freie Mitarbeiterin lab.Bode)

Auch besteht im sichtbaren Vermittlungsraum eine Nähe zum Ausstellungspublikum. Die Platzierung des sichtbaren Vermittlungsraumes bedingt, dass das Ausstellungspublikum den Vermittlungsraum und die von ihm gerahmte pädagogische Arbeit explizit betrachten kann. Das Publikum geht an dem Raum vorbei, verweilt davor und schaut in den Raum hinein. Kunstvermittlung wird dem Ausstellungspublikum dabei über die Architektur des Raumes, die Art und Weise der Raumgestaltung – wie Mobiliar, Zeigemedien, Wandgestaltung und Beschriftungen – sowie die Formen der Vermittlungspraxis, die im Raum vollzogen werden, gezeigt. Neben den bereits existierenden Formen der Repräsentation pädagogischer Arbeit im Museum wie Broschüren, Publikationen, Social Media-Auftritten und Webseiten4, entsteht dabei eine weitere Form des öffentlichen Zeigens der Kunstvermittlung: ihre räumliche Repräsentation5. Die Einrichtung der Vermittlungsräume im sichtbaren Bereich des Museums kann als absichtsvolle Geste des Zeigens der pädagogischen Arbeit beschrieben werden, mit der Kunstvermittlung zum Teil des Repräsentationssystems Ausstellung wird.

Zusätzlich zu der Betrachtung des Vermittlungsraumes treten einige Besucher*innen auch in den direkten Kontakt mit den Kunstvermittler*innen. Diese gehen auf die Fragen der Besucher*innen ein und übernehmen dabei die Aufgabe, zu einem besseren Verständnis der pädagogischen Arbeit bei den Ausstellungsbesucher*innen beizutragen und auf zukünftige Programme aufmerksam zu machen. Die überwiegend freischaffenden Kunstvermittler*innen übernehmen so Tätigkeiten aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, indem sie Programme erläutern und neue Teilnehmer*innen für die pädagogischen Angebote generieren: Kunstvermittler*innen vermitteln Kunstvermittlung. Für die kunstvermittlerische Praxis hat es zur Folge, dass die Kunstvermittler*innen ihre pädagogischen Aufgaben zwischenzeitlich unterbrechen, um sich den Fragen und Anliegen der Besucher*innen zu widmen.

Selbstbestimmtes Zeigen und ausgestelltes Objekt

Mit der Einrichtung sichtbarer Vermittlungsräume wird die Tätigkeit des Ausstellungmachens zum Teil kunstvermittlerischer Praxis. Über einen Raum im sichtbaren und öffentlichen Bereich des Museums verfügen zu können führt dazu, dass die Kunstvermittler*innen das Ausstellungmachen zunehmend in ihren Tätigkeitsbereich aufnehmen. Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen der Vermittlungsangebote realisieren sie Ausstellungen, die künstlerisch-ästhetische Produkte sowie Dokumentationen der Vermittlungsaktivitäten präsentieren. Der Inhalt dieser Ausstellungen auf der Ausstellungsfläche des Museums ist die pädagogische Arbeit im Museum selbst. Die Wandflächen, die durch den architektonischen Vermittlungsraum zur Verfügung gestellt werden, genauso wie extra angefertigte mobile Wände zum temporären Zeigen, werden dabei zum pädagogischen Medium, das die Produktion von Ausstellungen begünstigt.

Die Akteur*innen der Kunstvermittlung können im Ausstellungmachen weitestgehend selbst darüber entscheiden, auf welche Weise sie die Kunstvermittlung in Form von Ausstellungen zeigen möchten und was über die pädagogische Arbeit zu sehen gegeben wird. Sie bekommen die Möglichkeit, sich in die Darstellungshoheit des Ausstellungmachens auf der Ausstellungsfläche einzumischen und das Feld ihrer regulären Protagonist*innen, durch Akteur*innen der Kunstvermittlung, auszuweiten. Durch das Zeigen innerhalb des Museums reihen sie sich in das Repräsentationssystem Ausstellung ein, die es ihnen ermöglicht, legitime Bedeutungen über die pädagogische Arbeit zu formulieren. Sie tragen damit aktiv dazu bei, zu definieren, was innerhalb der jeweiligen Institution auf welche Weise als Kunstvermittlung wahrgenommen wird und nehmen im Sinne der Repräsentationskritik nach Stuart Hall6 Einfluss auf die Herstellung von Bedeutung über das Feld. Ebenso wie die Gespräche mit dem Ausstellungspublikum führen die Ausstellungen der Kunstvermittlung zu einem größeren Verständnis der Kunstvermittlung bei den Besucher*innen des Museums.

„Die Ergebnisse in den Ausstellungsraum im Museum zu bringen, empfinde ich immer als spektakulären Moment. Wichtig ist aber die bewusste Entscheidung der Teilnehmenden, wann etwas fertig ist und sie es zeigen wollen.“ (Karen Winzer, bildende Künstlerin und freie Mitarbeitern lab.Bode)

Gleichzeitig werden die Akteur*innen der Kunstvermittlung sowie ihre Handlungen durch die architektonische Rahmung der Räume sowie die Teilwerdung der Ausstellung selbst zum angeschauten Objekt. Der physisch-materielle Raum fasst die pädagogische Arbeit inklusive ihrer Akteur*innen ein und die Besucher*innen werden durch die Platzierung des Raumes auf der Ausstellungsfläche aufgefordert, die pädagogische Arbeit zu betrachten. Kunstvermittlung und ihre Akteur*innen werden zur Schau gestellt. Der sichtbare Vermittlungsraum suggeriert dabei als Teil des Ausstellungsdisplays ein Angeschaut-werden-Wollen, das die Anrufung des Hinsehens vermittelt und darüber die existierende Geschlechtlichkeit des feminisierten Feldes der Kunstvermittlung verfestigt.

Erhalt von Anerkennung und Reproduktion der Werteverhältnisse

Insgesamt führt die Nähe zur gezeigten Kunst und die Verortung im „Zentrum“ der Institution dazu, dass Kunstvermittlung über die im Feld anerkannten symbolischen Ordnungen Anerkennung7 erhält. Dies führt dazu, dass die Position der pädagogischen Arbeit im Museum gesteigert wird. Die Platzierung von Vermittlungsräumen im Keller oder im Dachgeschoss gegenüber der Platzierung ins „Zentrum der Institution“ ist folglich ein Ausdruck sich verändernder Machtverhältnisse innerhalb des Museums8. Wesentlich für diese Argumentation ist, dass mit dem Zentrum der Institution sowohl die rein physisch-materielle Mitte des Gebäudes als auch der Ausstellungsraum als Zentrum kultureller Werte anzusehen ist. Die Übergabe ehemaliger Ausstellungsflächen an die Kunstvermittler*innen bedeutet, dass sie innerhalb der symbolischen Ordnung des Museums aufsteigen, da ihnen das symbolische Kapital der Ausstellungsfläche übertragen wird.

Dieses symbolische Kapital können die Vermittler*innen innerhalb des Vermittlungsraumes als Benennungsmacht nutzen. Benennungsmacht wirkt als symbolische Macht auf der Ebene der Bedeutungszuschreibung, ihre Macht besteht darin, Bedeutungen herzustellen. Es ist die „Macht, der es gelingt, Bedeutungen […] als legitim durchzusetzen“ (Bourdieu/Passeron 1973: 190). Kunstvermittler*innen können mit ihrer Vermittlungspraxis im sichtbaren Vermittlungsraum und über das, was sie im Raum zeigen, legitime Bedeutungen über Kunstvermittlung herstellen.

Gleichzeitig ist festzustellen, dass der Kampf um Anerkennung respektive Kampf um die Beibehaltung oder den Aufstieg von bestimmten Positionen im Feld zur Reproduktion der Werteverhältnisse beitragen, indem der Glaube „an den Wert dessen, was in diesem Feld auf dem Spiel steht, je nach Feld mehr oder weniger vollständig“ reproduziert wird (Bourdieu [1980] 1993: 109). Bei der Platzierungsverschiebung auf die Ausstellungsfläche ist es der Glaube daran, dass Ausstellungsräume das Zentrum (das „Herz“) der Institution Museum darstellen und eines der zentralsten symbolischen Werte bedeuten. Im Zentrum der Institution verortet zu sein und darüber Anerkennung zu generieren, basiert auf der Anerkennung beziehungsweise der Verkennung der symbolischen Ordnungen des Museums. Es als erstrebenswert anzusehen, auf der Ausstellungsfläche platziert zu sein, bedeutet unmittelbar, die Ordnungen des Feldes zu bestätigen. Der Erhalt von Anerkennung über die Verortung auf der Ausstellungsfläche führt zur Reproduktion vorhandener Werte- und Machtverhältnisse innerhalb der Institution Museum.

Sichtbare Räume der Kunstvermittlung als widerständige Praxis?

Bei der Betrachtung und Analyse sichtbarer Vermittlungsräume stellt sich aus der Perspektive kritischer Kunstvermittlung die Fragen, inwieweit es sich bei der verändernden räumlichen Praxis um eine widerständige Praxis handelt. Widerstand wird nach María do Mar Castro Varela „als ein Ensemble von Praxen verstanden, die Machtverhältnisse in Bewegung bringen“ (Castro Varela 2007: 68) und wird immer dann transparent, wenn die geäußerte Kritik am Hier und Jetzt Formen annimmt, „die es vermögen einen neuen Blick auf dasselbe zu werfen“ (ebd.). Castro Varela bezieht sich mit ihren Ausführungen auf Foucault, für welchen Widerstand die andere Seite der Machtbeziehungen darstellt. Er beschreibt Widerstand als eine Praxis der Kritik, die er „als Kunst nicht derart regiert zu werden“ (Foucault 1992: 12) benennt. Es handelt sich bei Foucault folglich um die Kreation von etwas, was nicht auf diese Art und Weise intendiert war.

Wird das hier genannte Verständnis von Widerstand auf die sichtbaren Vermittlungsräume und die ihr zugehörigen Handlungen übertragen, ergibt sich folgende Frage:

Stellen die hier beschriebenen Praxen sichtbarer Vermittlungsräume Abweichungen zu den vorgeprägten institutionalisierten räumlichen Praxen dar,

– die etwas entstehen lassen, was auf diese Art und Weise nicht intendiert war,
– die hegemoniale Strukturen in Bewegung versetzten,
– oder die es vermögen, einen neuen Blick auf dasselbe zu werfen?

Eine sich so realisierende widerständige Raumpraxis möchte ich „abweichende Raumpraxis“ nennen.

In den Praxen sichtbarer Vermittlungsräume ist in Teilen eine abweichende Raumpraxis auszumachen. Zum einen steht der Einrichtung sichtbarer Vermittlungsräume die intendierte Funktion des Präsentierens von Kunst an einem spezifischen Ort im Museum nicht mehr zur Verfügung. Die Vermittlungsräume nehmen den Platz ein, der für das Zeigen von Kunst vorgesehen war. Das Ausstellen von Kunst wird an den dafür vorgesehenen Quadratmetern abgelöst durch Einrichtungsgegenstände und Materialien, die für Vermittlungsprogramme genutzt werden, sowie durch Ausstellungen der Kunstvermittlungsabteilungen, bei denen Produkte und Dokumentationen der pädagogischen Arbeit dem Publikum zu sehen gegeben werden. Das intendierte Zeigen von Kunst wird ersetzt durch das Zeigen von Kunstvermittlung.
Zum anderen geht mit der Generierung von Anerkennung eine erhöhte Stellung der Kunstvermittlung im sozialen Raum einher, welche eine Stärkung der eigenen Machtposition im Feld bedeutet. Die Position der Kunstvermittlung verändert sich und hegemoniale Strukturen geraten ins Wanken.

Um weitere Möglichkeiten abweichender Praxen im Umgang mit sichtbaren Vermittlungsräumen zu denken, möchte ich zum Abschluss drei Vorschläge machen, die sich an die hier beschriebene widerständige Praxis anlehnen.
Der erste Vorschlag lautet, in der Vermittlungsarbeit die existierenden Blickregime im Museum aufzudecken und sich mit den Blicken und Begehren der Besucher*innen auseinander zu setzen. Dies knüpft direkt an die Folge des sichtbaren Vermittlungsraumes an, welche die Vermittlungspraxis und ihre dazugehörigen Akteur*innen zum angeschauten Objekt macht. Dabei kann in Anlehnung an bestehende künstlerische und kunstvermittlerische Praxen widerständige Repräsentationsarbeit erfolgen, die sich dem Wunsch nach einem Beweis der Bildungsarbeit sowie ihrer diversen Teilnehmer*innenschaft entzieht9.
Zum zweiten können Räume der Halbsichtbarkeit oder Unsichtbarkeit gemeinsam mit den Teilnehmer*innen der Vermittlungspraxis aufgesucht beziehungsweise geschaffen werden. Dieser Vorschlag basiert darauf, Allianzen mit den Menschen einzugehen, die ihr Recht, unsichtbar bleiben zu wollen, einfordern und sich der existierenden Sichtbarmachung im Museum entziehen wollen. Mit dem „Recht auf Opazität“ (Glissant 1999: 24), das von dem postkolonialen karibischen Philosophen Édouard Glissant eingefordert wird, wird nicht nur der Intention Kunstvermittlung zu bezeugen entgegengewirkt. Durch das Aufsuchen von Räumen in der Halb- und Unsichtbarkeit wird in der Kunstvermittlung eine Strategie genutzt, bei der Sichtbarkeitsmechanismen zum Gegenstand der Kunstvermittlung gemacht werden und darüber das Recht in Anspruch genommen wird, sich nicht kategorisieren zu lassen10.

Mein dritter Vorschlag lautet, die sichtbaren Räume zur Verfügung zu stellen und Gegenöffentlichkeiten zu organisieren, für Akteur*innen, die von der Sichtbarkeit im Museum profitieren, diese aber nicht auf reguläre Weise – durch die Einladungspolitiken der Institution – erhalten. Die Sichtbarkeit der Räume könnte so für eine Sichtbarmachung von und Solidarisierung mit ihren jeweiligen Anliegen genutzt werden. 

Fußnoten
  1. Michel Foucault schreibt 1977 in Überwachen und Strafen. Die Geburt der Gefängnisse dass architektonische Räume im Allgemeinen einen dispositiven Charakter aufweisen und zur Herausbildung von Evidenz beitragen. So werden durch die Verräumlichung die Gegenstandsbereiche innerhalb von Institutionen wahr. Erst durch die Verräumlichung als Krankenhaus, Schule und Gefängnis werden Krankheit, Erziehung und Kriminalität sichtbar und dadurch existent. Foucault zeigt damit auf, dass die Folge der Verräumlichung die Herstellung von Evidenz sowie die Herstellung von Klassifizierungen ist.
  2. Die Herstellung von Sichtbarkeit ist eine machtvolle Praxis, mit der darüber entschieden wird, was auf welche Weise zu sehen gegeben wird (vgl. Schaffer 2008; Holert 2000). Daher gilt es in der Auseinandersetzung um Sichtbarkeit zu fragen, was für wen, wie und warum sichtbar gemacht wird und wer von dieser Sichtbarmachung profitiert (vgl. Schade/Wenk 2011: 105).
  3. Die hier dargestellten ambivalenten Effekte sind Auszüge von Forschungsergebnissen meiner Promotion Räume der Kunstvermittlung. Ambivalenzen sichtbarer Vermittlungsräume im Museum für Gegenwartskunst und ihre Auswirkungen auf die pädagogische Praxis (2020), Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Mit der konstruktivistischen Grounded Theory nach Kathy Charmaz habe ich in meiner Forschung die Auswirkungen sichtbarer Vermittlungsräume auf die Praxis der Kunstvermittler*innen analysiert und herausgearbeitet, was auf welche Weise über die sichtbaren Vermittlungsräume im Museum zu sehen gegeben wird. Grundlage meiner Forschung ist eine multiperspektivische Sicht auf Raum, die eine Verknüpfung zwischen relationalen Raumverständnissen (Löw 2001; 2018 / Lefebvre 2000) und visueller Repräsentationen (Hall 2010) des physisch-materiellen Raumes herstellt. Die in diesem Text formulierten Aussagen basieren auf den Ergebnissen meiner Promotion.
  4. Eine erste Forschung im Feld der deutschsprachigen Kunstvermittlung, die sich mit Fragen der Repräsentation von Kunstvermittlung auseinandergesetzt hat, wurde am Institute for Art Education (IAE) und Institute for Cultural Studies (ICS), beides ehemalige Forschungsinstitute der Zürcher Hochschule der Künste, unter dem Titel Kunstvermittlung zeigen in den Jahren 2011 bis 2013 durchgeführt. Die Ergebnisse des Projektes wurden im e-journal des IAE unter dem Titel Kunstvermittlung zeigen – Über die Repräsentation von pädagogischer Museumsarbeit (Fürstenberg/Lüth/microsillons 2013) sowie in der Publikation Kunstvermittlung zeigen. Über Repräsentationen pädagogischer Arbeit im Kunstfeld (Mörsch/Schade/Vögele 2018) veröffentlicht.
  5. Mit dem Begriff der „räumlichen Repräsentation“ benenne ich eine spezifische Form der Repräsentation, die auf den Ausführungen des Soziologen Stuart Hall (2010) zur Repräsentationskritik sowie auf der Relation der Begriffe Raum und Repräsentation des französischen Stadtsoziologen Henri Lefebvre (2000) basieren.
  6. Als Mitbegründer der Visual Cultural Studies setzt sich Stuart Hall kritisch damit auseinander, wie Kultur über das Visuelle konstruiert wird und wie und warum wir auf bestimmte Art und Weise sehen. Hall legt in seinen Beiträgen zur Repräsentation dar, dass Bedeutungen, die in Bezug auf Dinge existieren, nicht naturgeben sind, sondern erst durch einen vielschichtigen Prozess hergestellt werden. Er schreibt: „The main point is that meaning does not inhere in things, in the world. It is constructed, produced. It is the result of a signifying practice – a practice that produces meaning, that makes things mean“ (Hall 2010: 24). Einen bedeutenden Teil dieses Herstellungsprozesses stellen Repräsentationen dar, weswegen sie von Hall auch als eine machtvolle Praxis beschrieben werden, die Realität auf komplexe Weise gleichzeitig dar- und herstellen. Nach Hall sind Repräsentationen eine zentrale Praktik zur Produktion von Kultur, die die Art und Weise, wie wir Dinge sehen, maßgeblich beeinflussen.
  7. Mit Anerkennung beziehe ich mich hier auf die Ausführungen des Begriffs von Pierre Bourdieu. Dieser hat sich mit dem Begriff während seiner Forschungen zur Reproduktion sozialer Ungleichheit auseinandergesetzt und positioniert ihn in enger Verbindung zu seiner Theorie des sozialen Raumes. Bourdieus Darstellungen zur Anerkennung sind weniger mit dem Verständnis eines moralisch-normativen Prinzips verknüpft, als vielmehr mit „etwas“, was sich jeden Tag implizit vollzieht und zur Stärkung oder Veränderung der eigenen Position im sozialen Raum beiträgt. Anerkennung stabilisiert nach Bourdieu die Reproduktion von Macht- und Ungleichverhältnissen.
  8. Dass das Verhältnis zwischen Zentrum und Nicht-Zentrum ein Machtverhältnis darstellt, machen auch Sigrid Schade und Silke Wenk in ihrem Beitrag „Strategien des ,Zu-Sehen-Gebens: Geschlechterpositionen in Kunst und Kunstgeschichte“ (2005) deutlich. In Bezug auf die Dominanzen des Kunstmarktes durch westliche Kunst schreiben sie: „Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie ist immer auch ein Macht-Verhältnis, in dem es um die Legitimität von Deutungen geht. Das ‚Außen‘ des Diskurses ist immer auch in dessen ‚Innerem‘ als Verworfenes bzw. zu Verwerfendes präsent […].“ (Schade/Wenk 2005: 147).
  9. Ein Beispiel für kritische Repräsentationsarbeit, das an der Schnittstelle von Kunst und Bildung verortet ist, wird vom Kollektivs what* auf ihrem Instagram-Kanal betrieben (https://www.instagram.com/w_wh_at/). Die in den Projekten beteiligten Kinder und Jugendliche werden hier als weiße Schaufensterpuppen repräsentiert.
  10. Ein solches Aufsuchen von Räumen der Halb- und Unsichtbarkeit kann wie beim Vermittlungskollektiv fort-da (www.fort-da.eu) bedeuten, Kunstvermittlungspraxis bewusst außerhalb des Repräsentationsraumes Museum zu betreiben und sich somit den Kategorisierungsmechanismen und Evidenzproduktion zu entziehen.
Literaturverzeichnis

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